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GORGUTS
Interview 1999 - geführt von Karim mit Gitarrist/Sänger Luc Lemay

Welche Scheiben würdet ihr als Death-Metal Klassiker aufzählen?? "Leprosy", "Cause of Death", "Left Hand Path"?? Zu meinen Klassikern zählt definitiv "Considered Dead" von GORGUTS und daher war ich hocherfreut zu hören, daß die Kanadier mit einem neuen Album am Start sind. Sicher war "Erosion of Sanity", das zweite GORGUTS-Album schon technischer und hat mich persönlich überhaupt nicht gekickt, aber das was die Herren jetzt auf "Obscura" liefern ist mehr als nur etwas anders und auch wenn "Considered Dead" nicht mal ansatzweise durchschimmert trotzdem geil. Ich will hier nicht großartig über die Musik auf "Obscura" labern, denn der Titelsong auf unserer CD spricht hoffentlich für sich. Daher also nun rein in's fröhliche Fragespiel mit Mastermind Luc Lemay und zuerstmal klären, was denn bitte in der langen Zeit der Stille zwischen "Erosion of Sanity" und "Obscura" passiert ist ...

Du weißt ja, wie es in Bands so läuft und bei uns haben direkt nach den Aufnahmen zu "Erosion of Sanity" Anfang 1993 der alte Drummer Stephane und Gitarrist Sylvain das Handtuch geworfen. Da kurz vorher auch unser Bassist gegangen war, hatten wir schon Steve Cloutier in der Band, der auch auf "Obscura" zu hören ist. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Möglichkeit in Europa zu touren und standen ohne Drummer und Gitarristen da. Ich fragte Steeve Hurdle, der damals bei PURULENCE Gitarre spielte und sang, ob er nicht für die Tour aushelfen könne und für den Drumposten versuchte ich verzweifelt Lee von MONSTROSITY zu bekommen, aber glücklicherweise fanden wir dann in letzter Sekunde Steve Macdonald, der vorher bei SADISTIC VISION das Schlagzeug verdrosch und hatten das Line-Up für die Tour komplett. Wir spielten die Tour, die auch sehr gut verlief, behielten das Line-Up bei und fingen an neue Songs zu schreiben. "Obscura" entstand von Juni 1993 bis November 1994. 1995 zogen wir dann nach Montreal und standen wieder ohne Drummer da, weil Steve Macdonald uns aus persönlichen Gründen verlassen mußte. Dieser Zustand dauerte ein Jahr an bis wir Pat Roberts trafen, mit ihm die Songs übten und im Sommer 1997 dann sofort ins Studio gingen, um "Obscura" aufzunehmen. Im August 1998 kam Steve dann wieder zurück in die Band, der dann Schlagzeug auf der "Death across America"-Tour spielte. Im Juli dieses Jahres verließ uns dann wieder Gitarrist Steeve Hurdle, um sich auf andere Projekte zu konzentrieren und wir werden jetzt erstmal zu dritt weitermachen und höchstens einen zweiten Gitarristen für die Live-Shows suchen...

Also mal wieder die alten Line-Up Probleme. Da das Line-Up bis auf Luc komplett neu gewürfelt wurde, gehe ich mal davon aus, daß dies auch der Grund für den riesigen Schritt von "Erosion of Sanity" zu "Obscura" war?! Was machen denn die ganzen alten GORGUTS-Mitglieder jetzt?

Du hast recht... der neue Sound, den wir auf "Obscura" haben, ist definitv durch den Einstieg der drei Ste(e)ves begründet. Sie waren alle in ihren alten Bands die Hauptsongwriter und da wir unsere Ideen und Erfahrungen zusammenschmeißen konnten, ist dieses Line-Up eines der kreativsten mit denen ich je gearbeitet habe. Was die alten Mitglieder angeht, so sind die meisten von ihnen überhaupt nicht mehr musikalisch aktiv, soweit ich weiß.

Wie schon im Vorwort erwähnt, ist "Considered Dead" für mich ein absoluter Klassiker, während "Erosion of Sanity" in der damaligen Flut der Death-Metal Veröffentlichungen ziemlich unterging. Wie lief es denn mit den beiden Scheiben damals für euch??

Es war gut, daß wir die beiden Alben auf Roadrunner veröffentlichen konnten, da sie damals viel Pressearbeit geleistet haben und die Band schnell international bekannt machen konnten. Wir hatten gute Rezensionen und auch gute Interviews in Magazinen wie Metal Forces und Metal Maniacs. In Amerika hätte es vor allem mit "Erosion of Sanity" besser laufen können, aber wir hatten leider keine Möglichkeiten zu dieser Zeit in den Staaten zu touren. Für "Considered Dead" liefe es sehr viel besser und für dieses Album konnten wir auch eine Tour mit CANNIBAL CORPSE und ATHEIST spielen.

Wie kam es denn dazu, daß ihr euren Deal mit Roadrunner verloren habt?

Wir wurden direkt nach unserer Europa-Tour 1993 gekickt und zwar ziemlich zur gleichen Zeit als auch MALEVOLENT CREATION, IMMOLATION und SUFFOCATION ihren Deal verloren haben. (Vielleicht dachten sich Roadrunner, daß sie zu viele ...TION-Bands hatten??! - Ed.) Ich glaube, daß sie sich auf einen Teil des Marktes konzentrieren wollten, der zu dieser Zeit profitabler war und nach uns kamen Bands wie MACHINE HEAD, FEAR FACTORY und BIOHAZARD. Für mich war der Death-Metal aber nie tot, es lag einfach nur daran, daß die Plattenfirmen ihre Promotion auf andere Musik konzentrierten, was die Death-Metal Bands aus den Medien warf.

... und zu einer Gesundschrumpfung der Szene führte, was ich bei der Flut an sinnlosen Death-Metal Scheiben zu dieser Zeit auch nur positiv empfinden kann. Aber egal ... mir kam zwischenzeitlich das Gerücht zu Ohren, daß ihr vor "Obscura" noch eine Mini-CD veröffentlicht habt?!

Wir haben 3 Demos nach "Erosion of Sanity" aufgenommen, die aber nur Pre-Productions für uns waren, mit denen wir versuchten einen neuen Deal an Land zu ziehen. Auf diesen Demos war das gesamte Material, was jetzt auf "Obscura" gelandet ist und 4 Jahre lang war niemand daran interessiert, diese Musik zu veröffentlichen. Das ist der Grund, weshalb wir schon eine MCD in Eigeregie veröffentlichen wollten. Sie sollte den Namen "Clouded" haben, aber aus diversen Gründen haben wir das dann doch nicht gemacht.

Der Schritt zu "Obscura" ist schon recht groß und dürfte einige Fans verwundern. War das eine stetige Entwicklung hin zu technischerer Musik oder ein plötzlicher Schnitt durch die neuen Mitglieder?

Es war schon ein Schnitt, denn als die neuen Mitglieder in die Band kamen, diskutierten wir, was wir uns vorstellten und kamen zu dem Schluß, daß wir versuchen wollten die Sachen von den ersten beiden Alben außen vor zu lassen. Wir versuchten die Blast-Beats auf eine andere Art einzubinden und verzichteten auf den Gitarren auf dieses typische schnelle Picking um andere Techniken auszuprobieren und etwas neues zu versuchen.

Wie waren denn die Reaktionen der Fans bisher auf diese Veränderungen und wie siehst du die Musik von GORGUTS heute? Würdest du GORGUTS noch als Death-Metal Band kategorisieren und hörst du diese Musik selbst noch oder haben sich die Einflüsse völlig geändert?

Die Reaktionen waren bisher unglaublich gut. Zuerst sind viele Fans wirklich verwirrt gewesen und konnten mit diesem Sound nicht viel anfangen, aber das ist verständlich, denn seit "Erosion of Sanity" ist eine lange Zeit vergangen und nach dieser Zeit erwarteten viele so etwas wie "Erosion Part II", aber das ist es eben nicht. Es ist in erster Linie 60 Minuten extreme Musik und ich denke, daß es die Fans länger beschäftigen wird. Vor allem die völlig anderen Riffs auf "Obscura" haben viele Fans überrascht. Ob wir noch eine Death-Metal Band sind ist schwer zu sagen ... Ich denke Ja, weil wir typische Elemente benutzen wie den Gesang, das schnelle Drumming oder die Stimmung der Instrumente etc. Andererseits mischen wir diese Elemente mit vielen anderen in unsere Musik, so daß es nicht mehr nur Death-Metal ist ... es ist nicht mehr eindeutig zu bezeichnen. Sicher haben sich die Einflüsse über die Jahre verändert, aber der Grund dafür war viel mehr unser Interesse an neuen Sounds und neuen Möglichkeiten unsere Instrumente zu spielen, als immer nur das typische Metal-Zeugs zu spielen. Ich mag diese Bezeichnung "Death-Metal" sowieso nicht allzu gern und bevorzuge es einfach "Extreme Musik" zu nennen.

Für diese extreme Musik konnte sich ja dann endlich auch mit Olympic Records eine Plattenfirma begeistern, die ja mit Bands wir OPRESSOR und DIVINE EMPIRE auch einige andere gute Bands im Stall haben. Gab es denn vorher gar keine interessierten Labels?

Olympic Records nahmen Anfang 1995 Kontakt mit uns auf, aber wir waren zu dieser Zeit nicht interessiert, weil wir tatsächlich ein anderes Angebot von einer Plattenfirma namens Redlight Records hatten. Die sind aber einige Monate später dann von der Bildfläche verschwunden und damit auch ihr Angebot. Wir haben viele Plattenfirmen mit den Demos angeschrieben, aber sie konnten mit dem Material überhaupt nichts anfangen. Das Album haben wir dann auf eigenes Risiko aufgenommen und damit dann wieder Kontakt mit Olympic aufgenommen, die völlig begeistert waren. "Obscura" ist jetzt seit Juni 1998 in den Staaten auf dem Markt und seit April 1999 in Europa. Seitdem kann ich nur sagen, ist unsere Zusammenarbeit sehr gut.

Nun habe ich ja in meinem permanenten Vitamalz-Suff nicht mal von eurer Europa-Tour was mitbekommen. Wie sieht es denn ansonsten live bei euch aus und vor allem wie ist euer Kontakt zur kanadischen Szene, wo ja diverse gute (und vor allem seltsamerweise hauptsächlich technische Bands) herkommen wie CRYPTOSY, NEURAXIS, DICHOTIC oder die ebenfalls in dieser Ausgabe vertretenen MARTYR.

Was Touren angeht, so haben wir bisher zwei U.S. Touren für "Obscura" gespielt... die eine Ende 1998 zusammen mit NILE und OPRESSOR sowie verschiedenen Openern und die andere im März/April dieses Jahres zusammen mit DIVINE EMPIRE und VADER als Headliner und auf beiden Touren waren auch CRYPTOPSY dabei. Wo du schon MARTYR erwähnst .... ihr Sänger und Gitarrist Daniel Mongrain soll als zweiter Gitarrist für Live-Shows als Ersatz für Steeve Hurdle bei uns einsteigen. Ich halte MARTYR für eine großartige Band und muß sagen, daß es mich förmlich weggeblasen hat, als ich mit Daniel gejammt habe ... er ist ein sehr talentierter Musiker!

Dazu muß man auch nichts weiter sagen, denn der Song "Warp Zone" vom demnächst erscheinenden zweiten Album der Technik-Deather auf unserer CD dürfte dies wohl problemlos beweisen. Aber um mal bei dem Thema Live zu bleiben ... ich kann mir euer neues Material schwer live vorstellen, denn die CD ist ja an sich schon schwer zu konsumieren... wie reagieren die Leute denn bei euren Auftritten und wie sieht eure Performance heute im Vergleich zu vergangenen Zeiten aus?

Oh mann, die Shows die wir bisher für "Obscura" gespielt haben waren wirklich cool. Ich liebe es live zu spielen und vor allem für das neue Material ist live die beste Möglichkeit, den Fans die Songs nahezubringen. Ich stimme völlig mit dir überein, daß das neue Album nicht leicht zugänglich ist, aber sobald du es einmal live gesehen hast wirst du sagen "OK, jetzt verstehe ich es!". Wir spielen die Songs nicht anders als auf der CD, aber Live wird es einfach verständlicher, allein schon weil man sieht, was wir da spielen.

Noch mal kurz zum Thema Texte ... ich mochte die Texte auf "Considered Dead", weil es alles kleine Geschichten waren, die thematisch voll in die Death-Metal Ecke paßten, aber nicht die Holzhammer-Methode benutzten wie diverse andere Bands, sondern eben mehr Kurzgeschichten-Charakter hatten. Auf "Obscura" ist davon nicht mehr viel zu finden und es macht den Eindruck, als ob "Obscura" mit diesem Meditations-Artwork und diversen Textpassagen etwas wie einen religiöses Konzept hat. Steht ihr einfach auf Meditation oder sind es doch eher Drogen, die da mit reinspielen ... im Booklet wird ja euer Support für feine Gräser angeschnitten...

Es gibt wirklich ein Konzept hinter "Obscura", aber das ist absolut nicht religiös. Es basiert viel mehr auf der Philosophie alter Indischer Kulturen durch Meditation so etwas wie die Ekstase des Todes zu erleben. Für diese Menschen ist der Tod die totale Befreiung der Seele aus dem irdischen Zustand, der vom Körper und menschlichen Konzepten bestimmt wird im Gegensatz zum puren Bewußtsein wenn die Seele sich aus der irdischen Passage, dem Leben selbst befreit. Es geht also um den Gegensatz zwischen Körper und Seele und jeder Song behandelt diese Philosophie wie einzelne Kapitel in einem Buch. Was die Drogen angeht kann ich nur sagen, daß wir eine Menge Gras geraucht haben, während die Songs für "Obscura" entstanden ...

Oh yeah ... das hört man und ich denke, daß auch die Texte nicht so ganz unberührt geblieben sind von den wahrscheinlich gigantischen Rollen, die da verquarzt wurden!! Luc ist übrigens ein schwer beschäftigter Mensch (das Interview kam auch auf den letzten Drücker erst zurück) und ist auf der Musikhochschule tätig, wo er dann scheinbar auch Ideen und Kontakte für das eine oder andere Projekt küpfen kann ... so erzählten mir die Leute von CRYPTOPSY etwas von einer geplanten MCD mit Orchester und Chor?!

Ja, ich möchte für mich eine klassisch beeinflußte Platte aufnehmen mit dem Material was ich bisher so geschrieben habe. Ich habe 1997 ein Trio für Geige, Viola und Cello geschrieben und 1998 ein Flötenkonzert mit Kammerorchester sowie ein Violinenkonzert mit großem Orchester in diesem Jahr. All das möchte ich gern aufnehmen ...

Huch, und ich hatte gehört, daß gar GORGUTS-Kompositionen mit Klassik-Elementen verknüpft werden sollten ... wäre doch sicher noch eine Ecke anstrengender geworden als "Obscura". Aber was das neue GORGUTS-Album angeht, so war leider nicht viel mehr zu erfahren, als daß es im Dezember aufgenommen werden soll und dann wohl 2000 veröffentlicht wird ... natürlich hofft Luc zwischenzeitlich noch die Chance auf eine Europa-Tour wahrnehmen zu können, was im momentanen Aufwind für Death-Metal und progressive Musik garnicht mal so unwahrscheinlich ist. Und dann werde ich es nicht wieder verpennen ... vielleicht kommen ja MARTYR als Vorband mit?!