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DILLINGER ESCAPE PLAN

Relapse Rec.

DILLINGER ESCAPE PLAN
Interview 2000 - geführt von Karim mit Gitarrist Chris Pennie

Mit "Under the running board" haben DILLINGER ESCAPE PLAN bei mir einen ersten Eindruck hinterlassen, der so ausartete, daß einige Leute sich die Scheibe mit der Knarre am Kopf anhören mussten (und ich glaube sie nehmen es mir im Nachhinein nicht übel, hehe!). Mit der ersten Full-Length "Calculating Infinity" kam dann die nächste Möglichkeit ein Interview mit der Band zu machen, für das mir Gitarrist Chris zur Verfügung stand ...

Ich ärgere mich ja ein wenig, dass ich nicht damals zu eurer Mini-CD ein Interview gemacht habe, denn inzwischen komme ich mir vor wie ein Trendsurfer, da ihr ja teilweise schon als "Next big thing" in den Alternative-Blättern gehandelt wurdet. Die Dinge scheinen gut für euch zu laufen ...

Oh ja, es ist überwältigend was wir an positivem Feedback bekommen haben und wir sind darüber auch selbst etwas verwundert, da unsere Musik ja alles andere als eingängig ist. Wir schreiben die Songs für uns und wissen, dass viele Leute damit nicht umgehen können.

Vor "Calculating Infinity" kann ja nicht sehr viel passiert sein, denn laut Bandinfo wurde DILLINGER ESCAPE PLAN erst 1997 gegründet...

Wir haben alle vorher in diversen Projekten gespielt, mit denen wir nicht besonders zufrieden waren. Es war alles eine Enwicklungsphase ... ich spiele jetzt schon seit 9 Jahren in verschiedenen Bands, da waren auch Sachen wie eine IRON MAIDEN Coverband dabei. Das war also alles nichts ernsthaftes vor DILLINGER ESCAPE PLAN. Vor "Under the running board" haben wir eine 6-Track Mini-CD auf Now-or-Never Records und eine Split-CD mit NORA veröffentlicht.

Eure Mini-CD "Under the running board" hat mich damals ziemlich vom Stuhl gefegt und man hat von euch so gut wie nichts gehört zu der Zeit. Im Vergleich zu "Calculating Infinity" kam mit die Mini-CD auch noch agressiver vor, während ihr jetzt wesentlich vielschichtiger geworden seid. Wie sieht denn eure musikalische Entwicklung auch vor "Under the running board" aus?

Ich würde nicht sagen, dass wir unseren Stil von der Mini-CD zu "Calculating Infinity" verändert haben. Auf der Mini hatten wir einfach nur drei Songs und wenig Zeit, während wir uns auf "Calculating Infinity" mehr austoben konnten, weshalb das Album auch vielschichtiger klingt. Das wichtigste an unserer Musik war immer Energie, Agressivität und Chaos aber wir wollten auch verschiedene Einflüsse einbringen, die Musik mehr dynamischer machen. Ein agressiver Part wirkt einfach härter, wenn er auf eine ruhige Passage folgt.

Ihr mischt so viele verschiedene Einflüsse und macht in einem Song wie "Weekend Sex Change" nicht mal vor Drum&Bass halt. Gibt es irgendwas, was du als wichtigen Einfluss ansiehst?

Wir hören alle nicht mehr sehr viel harte Musik, vielleicht einfach weil wir das jetzt schon so lange tun. Death-Metal und Hardcore sind wichtige Einflüsse für unsere Musik aber heute höre ich viel ruhigere Sachen. Momentan höre ich viel RADIOHEAD, STING, KING CRIMSON, Fusion Jazz und so weiter. Aufgewachsen bin ich mit CARCASS, ENTOMBED, SEPULTURA und so weiter. Das sind alles irgendwo auch Einflüsse.

Auf "Calculating Infinity" sind ja so mache krasse Stimmungswechsel und ich frage mich, wie eure Songs entstehen. Jammt ihr viel und bastelt das dann zusammen?

Viele Leute fragen, ob wir viel an den Songs feilen, aber in Wirklichkeit entsteht das meiste durch jammen. Meine Lieblingsparts auf dem neuen Album sind genau die, die im Proberaum bei einem Jam entstanden sind. Viele von diesen technischen Bands klingen perfekt aber das war es auch, weil es oft sehr konstruiert und berechnet klingt wodurch die Energie verloren geht. Wir fügen die einzelnen Ideen im Proberaum mit unserem Drummer zusammen und versuchen das direkte Gefühl einzufangen. Wenn diese Energie nicht rüberkommt, verwerfen wir es wieder. Meist strukturieren wir die Songs erst ganz am Ende und dann kommt der Text und Gesang dazu.

Ihr habt ja auch im Booklet der CD einen Text von Adam, der sehr danach klingt, dass euch gerade dieses Bauchfeeling wichtig ist und ihr mit der Musik auch etwas ausdrücken wollt.

Adam ist unser alter Bassist, der leider nicht mehr bei uns spielen kann, da er nach einem Autounfall gelähmt ist. Viele Leute haben ihm sehr geholfen in dieser Zeit und Geld gespendet. Es war ihm sehr wichtig, diesen Text zu schreiben, eben weil er für die viele Hilfe sehr dankbar ist. Er war auch am Songwriting für "Calculating Infinity" noch sehr stark beteiligt und der Autounfall passierte mitten in der Vorbereitung für das Album, so dass ich den Bass im Studio einspielen musste, wobei er mir sehr geholfen hat und auch bei den Aufnahmen noch einiges beigesteuert hat.

Wie ist denn das mit euren Texten? Das seltsame daran ist, dass sie keine Struktur, Refrains oder Reime haben...

Den Großteil der Texte schreibt unser Sänger und wir werfen alle hier und da unsere Ideen mit dazu. Viele Leute sagen, dass sie unsere Texte nicht verstehen und das ist auch in Ordnung, weil die Texte schon sehr persönlich sind. Wir erzählen keine Geschichten sondern es geht meist nur um einen bestimmten Augenblick und die Gefühle in dieser Situation. Was die Texte angeht sind wir besonders egoistisch, die schreiben wir wirklich nur für uns und interessieren uns relativ wenig dafür, was jemand anders darüber denken könnte oder wie er sie interpretiert.

Damit geht ihr textlich ja weg von dem Hardcore-Klischee, dass die Texte kritisch oder politisch sein müssen, wie sie es ja auch immer noch bei vielen Bands sind.

Bei DILLINGER ESCAPE PLAN ging es noch nie darum eine Message rüberzubringen. Wir sind wie gesagt eine egoistische Band, die einfach nur ihr Ego vertont. Es gibt viele Bands, die etwas rüberbringen wollen und dies auch gut machen und die ich vollkommen dafür akzeptiere. Das sind aber nicht wir. Wir wollen einfach diese Musik spielen und etwas Druck dadurch ablassen und das war von Anfang an so. Vielleicht haben wir die Akzeptanz in der Szene gerade deshalb bekommen, weil wir nie versucht haben, etwas zu sein was wir nicht sind.

Eure Musik ist zwar schwer auf ein Wort zu bringen, hängt aber doch wohl am ehesten an der Hardcore-Szene. Wo kommen denn eure Einflüsse her?

Hardcore trifft die Sache wohl am ehesten. Wir hören aber alle sehr verschiedene Musik und vor allem mein Bruder und ich haben früher sehr viel Death-Metal gehört. Wir haben vorher schon alles mögliche an Metal gehört, aber Death-Metal hat uns wegen seiner Agressivität und Rohheit beeindruckt. Irgendwann fingen dann aber alle Bands sich gleich anzuhören und das ganze verlor seinen Reiz und wirkte nicht mehr ehrlich. An diesem Punkt haben wir unser Interesse an der Underground Hardcore-Szene gefunden und extreme Musik für uns wiederentdeckt. Wir bewegen uns jetzt schon länger in dieser Szene und wir fühlen uns dort sehr wohl, da es eine sehr ehrliche Szene ist, in der jeder wegen der Musik ist und wir uns nicht mit fetten Club-Besitzern und Arschlöchern rumärgern müssen, die nur Geld mit der Musik verdienen wollen.

Ich muss zugeben, dass ich in der Hardcore-Szene so gut wie keine Ahnung habe, aber ich habe den Eindruck, dass sich Hardcore im Moment so wie vor einiger Zeit der Death-Metal auch anderen Einflüssen öffnet und Keyboards oder Jazz-Einflüsse nicht mehr schief anguckt. Bands wie ihr oder BOTCH, die ja relativ erfolgreich sind, unterstreichen diesen Eindruck.

Das ist wahr und es ist eine sehr interessante Zeit, da wirklich viele Grenzen fallen und es nicht mehr dieses Schwarz/Weiß-Ding ist sondern sich viele graue Flächen auftun. Ohne diese Entwicklung hätten wir auch momentan nicht die Akzeptanz die wir bekommen. Wir sind wohl einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir selbst sehen uns eigentlich weniger als Hardcore-Band, sicher kommen wir aus dieser Szene aber wir wollen uns nicht limitieren. Gerade durch unser Label Relapse Records haben wir die Möglichkeit bekommen auf verschiedenen Metal-Festivals und mit Metal-Bands zu spielen und das ist interessant für uns. Wir sind einfach Musiker und freuen uns über jeden, der unsere Musik mag.

Am ehesten erinnert mich eure Musik auch an diese Hate/Noise Hardcore-Bands und lustigerweise habe ich in eurem Bandinfo gelesen, dass ihr im gleichen Studio wie HUMAN REMAINS und DEADGUY aufgenommen habt, die passenderweise ganz oben unter meinen Lieblingsbands rangieren. Um beide ist es still geworden, hast du News?

DEADGUY haben sich vor einiger Zeit aufgelöst. Sie hatten verschiedene Line-Up Probleme und haben die letzte CD in einem komplett neuen Line-Up aufgenommen. Danach haben sie sich aufgelöst und spielen jetzt in verschiedenen Bands. Ihr Sänger und Gitarrist spielen jetzt bei KISS IT GOODBYE, die gerade eine 7"-Single auf Revelation Records rausgebracht haben. HUMAN REMAINS gibt es auch schon lange nicht mehr aber ich bin sehr gut mir ihrem Drummer Dave befreundet, der jetzt in einer neuen Band namens DISCORDANCE AXIS spielt. Das ist eine wirklich gute und unglaublich schnelle Grind-Band, die eine CD auf Hydrahead raus haben und davor schon eine CD auf einem unbekannten Label hatten. Außerdem hat Dave noch ein Projekt mit dem Sänger von ENDEAVOUR und das soll sehr stark in Richtung HUMAN REMAINS gehen, leider komme ich jetzt nicht auf den Namen.
Das sind alles Bands, die hier aus unserer Gegend in New Jersey stammen und es gibt Parallelen zwischen den Bands. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendwie hat die Musik hier diesen dreckigen Sound.

Vielleicht ist es das gleiche wie mit den Bands aus Louisiana, denen man auch oft anhört woher sie kommen.

Ja, die haben alle diesen "Southern Sound", aber ich weiß nicht wirklich was den Sound der Bands aus New Jersey ausmacht.

Mir auch egal, aber jetzt wo ich weiß das DEADGUY, HUMAN REMAINS, KISS IT GOODBYE und ihr aus New Jersey kommen, werde ich da ein ähnliches Auge drauf haben wie schon auf New Orleans!
Ich habe euch ja auf eurer Europa-Tour mit BOTCH live gesehen und mir einen Eindruck davon machen können, wie eure berühmt berüchtigte Stageshow aussieht . Zum Glück stand ich nicht vorne, denn sonst hätte ich mir eventuell operativ einen Gitarrenhals aus dem Kopf entfernen lassen müssen. Vielleicht vermitteln die Live-Fotos ja einen Eindruck davon. Wie sieht es denn sonst bei euch mit Touren aus. Ihr habt ja auch eine Tour mit MR. BUNGLE gespielt, wie ist es denn dazu gekommen?

Wir haben schon einige Touren gespielt, auch schon Headliner-Touren wie zum Beispiel gerade mit DROWNING MAN, die eine Scheibe auf Hydrahead-Records raus haben. Sonst haben wir noch Shows mit CEPHALIC CARNAGE, BURN IT DOWN und vielen anderen gespielt. Die Tour mit MR.BUNGLE war toll und da wir alle große MR.BUNGLE Fans sind war das eine unglaubliche Möglichkeit für uns, die sich einfach für uns ergeben hat, weil sie eine gute Vorband gesucht haben. Mike Patton hat eine CD von uns gehört und fand sie scheinbar so gut, dass sie angerufen und angefragt haben, ob wir auf der Tour die Vorband machen wollen, wo wir natürlich sofort dabei waren.

... was beweist, dass Mr. Mike Patton offensichtlich doch noch ein Ohr am Underground hat und Qualität sich manchmal doch durchsetzt. Allerdings frage ich mich, wie das musikalisch funktioniert hat, denn die neue MR.BUNGLE ist ja nun sehr anders als eure Musik?!

Eigentlich war das Feedback sehr gut, was sicherlich auch daran liegt, dass die MR.BUNGLE Fans einen breiter gefächerten Musikgeschmack haben. Einige waren aber wirklich sehr verstört von uns und unserer Musik, aber ich glaube das war auch mit die Absicht von MR.BUNGLE. Die Leute, die mit uns nichts anfangen konnten waren auch die Sorte, die mit MR.BUNGLE ihre Probleme haben. Es sind schon viele Leute gekommen, die einfach nur Mike Patton sehen wollten, weil FAITH NO MORE sich aufgelöst haben

Das sind ja dann auch genau die Leute, die verstört werden müssen, haha. Siehst du eigentlich einen Unterschied zwischen euren Live-Shows und eurem Studio-Sound? Immerhin benutzt ihr ja auch viele Samples etc.

Prinzipiell versuchen wir live so viel wie möglich von der CD zu reproduzieren und haben auch viele Samples in die Live-Show mit übernommen. Live spielen ist aber schon etwas anderes, denn oft jammen wir auch live oder spielen Parts anders als auf CD. Vielleicht ist ein DILLINGER-Gig in etwa so als würdest du unsere CD sehr, sehr laut hören.

Spielt ihr eigentlich mit Klick? Was mir immer wieder auffällt ist, wie tight ihr klingt.

Nein, wir spielen nicht mit Klick... wir spielen einfach. Es liegt wohl daran, dass unser Schlagzeuger sehr präzise ist. Er übt sehr viel und selbst wenn er nur irgendwo rumsitzt trommelt er irgendwo drauf rum. Daher hat er wahrscheinlich so ein natürliches Timing entwickelt. Er hat den ganzen Tag Drumsticks in den Händen.

Fast hätte ich vergessen noch mal auf das Cover von "Calculating Infinity" zu sprechen zu kommen, denn auch das ist sehr eigenwillig. War das eure Idee mit dieser Hülle um das Booklet, die einen Teil verdeckt?

Wir wollten etwas eigenständiges mache, irgendwo schon wie bei "Under the running board" aber frischer. Es sollte etwas charakteristisches sein, was man im Kopf behält und sofort weiß "Hey, das ist DILLINGER ESCAPE PLAN.". Wir haben viele Fotos von alten Radios etc. aus den 30er Jahren benutzt und schon auf "Under the running board" waren diese 30er Jahre Gangster-Bilder. Wir wollten diesen Look beibehalten aber weg von diesem Gangster-Ding. Auch unser Name geht ja auf diese Zeit zurück und bezieht sich auf den Bankräuber Dillinger, der dafür bekannt wurde, dass die Polizei ihn nie erwischen konnte. Aber wir fanden einfach nur den Namen cool, stehen aber gar nicht auf dieses Gangster-Zeug. Der Name war damals, als wir nach einem Namen für die Band suchten, auch derjenige, den die wenigsten Leute mochten. Alle meinten nur er wäre zu lang, passt auf keinen Flyer und man kann ihn sich nicht merken ... perfekt also für die Band!

Gutes Wort zum Abschluss, jetzt wissen wir auch wo dieser seltsame Bandname kommt, der aber doch zu der seltsamen Musik der Band passt. Auch wenn "Calculating Infinity" inzwischen fast schon ein alter Hut ist, kann ich das Album nur jedem ans Herz legen, der sich um Schubladen wenig kümmert und einfach nur Wert auf extreme Musik legt. Und alle, die die Tour verpasst haben sollten sich auch mal die DILLINGER-Vorband BOTCH anhören, die live gut gekickt haben. Aus die Maus ...